Stellungnahme der FREIEN WÄHLER zur Neustrukturierung des ÖPNV in der Region Stuttgart

Vom Fraktionsvorsitzenden Wilfried Dölker wurde in der Kreistagsitzung am 09.05.2005 die nachfolgende Stellungnahme der FREIEN WÄHLER im Landkreis Böblingen zur Diskussion um die Neustrukturierung des ÖPNV in der Region Stuttgart abgegeben:

Sehr geehrter Herr Landrat,

meine Damen und Herren,

die FREIEN WÄHLER haben beantragt, dass dieses Thema auf der Tagesordnung im Kreistag behandelt wird. Die Diskussion in der letzten Regionalversammlung am 27.04.2005 macht dies noch notwendiger.

Zunächst möchte ich für die Freien Wähler feststellen, dass die dort vorgetragenen Argumente zum Großteil an der Sache vorbei gingen. Es ist richtig, dass seitens der Landkreise darüber nachgedacht wird, wie die Strukturen im Verkehrsverbund Region Stuttgart bzw. im VVS neu gestaltet werden könnten. Zuständig für diese Überlegungen sind natürlich nicht nur die Landräte, sondern die Kreistage.

Der Anstoß für eine Neuordnung kommt vom Europäischen Gerichtshof mit seiner Altmark-Trans-Entscheidung aus dem Jahr 2003. Danach sind von der öffentlichen Hand bezuschusste Verkehre nur dann europarechtskonform, wenn Leistung und Gegenleistung konkret beschrieben sind.

Die derzeitigen Verträge zwischen dem Verband Region Stuttgart und den Verkehrsunternehmen werden diesem Anspruch nicht gerecht. Insbesondere gilt dies für die sogenannte Alteinnahmesicherung und mit Sicherheit auch für die Einnahmezuscheidung.

Das Land Baden-Württemberg hat zum Ende des Jahres 2005 die Verträge zur Förderung des Verkehrsverbundes Stuttgart gekündigt. Damit steht fest, dass die Finanzbeziehungen zwischen Land, Verband Region Stuttgart, Stadt Stuttgart und den Landkreisen neu verhandelt werden müssen.

Es ist mehr als legitim, wenn seitens der Kreistage bei der Region Stuttgart eingefordert wird, dass für die Neuorganisation des ÖPNV eine zukunftsfähige Lösung gesucht werden muss. Das derzeitige Finanzierungssystem ist nicht durchschaubar. Es kommt dazu, dass gesetzliche Aufgabenverantwortung und Finanzverantwortung für die Busse in Verbundgebiete getrennt sind.

Der Nettoaufwand des Landkreises Böblingen für den ÖPNV ist in den letzten Jahren geradezu explodiert – in der gesamten Region von 26,9 Mio. € im Jahr 1993 auf 95,7 Mio. €.

500 Mio. € jährlich kostet der ÖPNV im Verbundgebiet. Davon wird rund die Hälfte durch Fahrgeldeinnahmen gedeckt.

Verhalten der Region Stuttgart:

Statt den Vorstoß der Landräte als Gesprächsgrundlage zu einer kooperativen Lösung in der Region Stuttgart zu sehen, wird seitens des Verbandes Region Stuttgart nun argumentiert, dies sei ein Generalangriff auf die Region Stuttgart. Dies ist – mit Verlaub – wirklich nicht nur daneben gegriffen, sondern allenfalls Machtgehabe.

Wenn die Landkreise im ÖPNV mit der Region Stuttgart zusammenarbeiten und wenn Partnerschaft statt Gegnerschaft eingefordert wird, dann ist dies kein Angriff gegen die Region, sondern allenfalls ein selbstverständliches Recht, das auf der Subsidiarität aufbaut. Wir als Kreistag Böblingen sind sehr wohl in der Lage, darüber zu entscheiden, wie die Busverkehre im Kreis Böblingen strukturiert sein sollen. Dazu bedarf es keiner alleinigen Zuständigkeit der Regionalversammlung.

Dabei geht es nicht darum, dass die Region Stuttgart nicht weiterhin die Aufgabenträgerschaft für den regionalen Schienenverkehr behalten soll. Auch, das sage ich für die FREIEN WÄHLER klar: wir sind für die Beibehaltung des Gemeinschaftstarifes. Wir stehen auch weitgehend zum vorhandenen Verkehrsangebot, wobei ich anmerken möchte, ob es sein muss, dass immer neue Linie z. B. Frühverkehre zum Flughafen oder weitere Nachtbuslinien eingeführt werden – ist angesichts der derzeitigen Finanzlage im Einzelfall jeweils gründlich zu prüfen.

Die kommunale Belastung ist zu hoch:

Der Vergleich mit anderen Landkreisen zeigt, dass die Landkreise in der Region Stuttgart weit überdurchschnittlich belastet sind. Werden in anderen Nahverkehrsverbünden max. 1 – 2 %-Punkte Kreisumlage für den ÖPNV benötigt, so sind dies bei uns rund 6 %-Punkte.

Da kommen wir nicht mehr um die Feststellung herum, dass die Finanzierungsbelastung aus dem ÖPNV so nicht weitergehen kann. Es ist zudem nicht nachvollziehbar, dass sich Region und Landkreise und Stadt Stuttgart eine völlig intransparente Verkehrsfinanzierung leisten können.

Am Beispiel der Schönbuchbahn wurde schon mehrfach klar, dass die Einnahmezuscheidung überholt ist. In der Region werden jährlich über 250 Mio. € Fahrgelder verteilt. Trotz einer Verkehrszunahme von weit über 100 % gegenüber den prognostizierten Annahmen gab es bei der Schönbuchbahn z. B. nur eine vergleichsweise geringe Mehrzuweisung aus dem gemeinsamen Einnahmepool.

Da ist es weder für die Verkehrsbetriebe, die Busunternehmer und die WEG bzw. den Landkreis interessant, weitere Fahrgäste zu gewinnen, weil es ja nur eine ganz geringe zusätzliche Einnahme aus der Einnahmezuscheidung gibt. Aus unserer Sicht ist dies ebenfalls ein Geburtsfehler des ÖPNV-Systems in der Region Stuttgart.

Wir möchten Sie, Herr Landrat Maier, in Ihrer Position gegenüber der Region Stuttgart bestärken. Als Kreistag sollten wir alles tun, dass es gelingt, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.

In der Regionalversammlung wurde von den großen Fraktionen vorgetragen, man habe in der Vergangenheit Millionen-Beträge eingespart. Gegenüber der ursprünglich prognostizierten Entwicklung ist dies durchaus zutreffend. Dies stellt auch niemand in Abrede. Aber es ist ja wohl auch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Verantwortlichen, dafür zu sorgen, dass diese grandiose Belastung aus dem ÖPNV nicht noch stärker explodiert, wie sie es schon ohnehin getan hat.

Diese Verhandlungserfolge sollten nicht dazu führen, dass man gar nicht mehr überlegt, ob es nicht noch bessere Möglichkeiten geben kann.

Gemeinsame Ausschreibung der Busverkehre:

Die von der Region Stuttgart angestrebte Gesamtausschreibung der Busverkehre in der Region klingt plausibel und auf den ersten Blick verlockend. Mit dem Argument „hier geht es um die Steuergelder der Bürgerinnen und Bürger“ wurde in der Regionalversammlung gegen die FREIEN WÄHLER und die Landräte gewettert.

Was sind denn die Steuereinnahmen der Bürgerinnen und Bürger? Nur wer einen Arbeitsplatz, wer Zukunftsperspektiven hat, kann auch Steuern zahlen.

Nur mal so dahin gedacht – was wäre denn, wenn die Busverkehre in der gesamten Region gemeinsam ausgeschrieben werden und ein europäisches Unternehmen würde den Wettbewerb gewinnen und mit Busfahrern aus Osteuropa zukünftig dafür sorgen, dass ein richtig preisgünstiges Busangebot in der Region geschaffen werden könnte, wie viele Unternehmen und Busfahrerinnen und Busfahrer, die seither Arbeit und Verdienst hatten, würden dann ohne Einkommen dastehen und arbeitslos? Würden die Fahrgäste noch genauso von ortskundigen Fahrerinnen und Fahrern betreut? Wollen wir dies wirklich?

Es muss bei der Ausschreibung darauf geachtet werden, dass auch regionale Unternehmen eine Chance haben, sich am Wettbewerb zu beteiligen. Deshalb sind kleinräumigere Lose zu bilden und es ist darauf zu achten, dass wir für einen vermeintlich kurzfristigen Vorteil nicht eine immense Mehrbelastung für die gesamte öffentliche Hand, nämlich fehlende Arbeitsplätze, schaffen.

Dem Kreistag schlagen wir vor, zu beschließen, dass wir den Weg, den die Landräte eingeschlagen haben, als Kreistag unterstützen.

Zentrale Forderungen dabei sind:

  • Durch eine gerechte Verteilung der Fahrgeldeinnahmen in der Region muss die kommunale Ebene entlastet werden.
  • Die Alteinnahmesicherung der ÖPNV-Unternehmen ist auf eine neue EU-rechtskonforme Basis zu stellen.

  • Gegenüber dem Land ist darauf hinzuwirken, dass die Kürzungen des Landes in der Verbundförderung und bei den Investitionszuschüssen zurückgenommen werden.

  • Das Niveau des ÖPNV-Angebotes in der Region soll auch in Zukunft gewährleistet bleiben.

  • Die Aufgabenträgerschaft ist wie bisher beizubehalten, allerdings gehört die Finanzverantwortung für die Busverkehre zukünftig in die Hand der Landkreise.